«Man muss das Komponieren in der Praxis lernen» — Wolfgang Rihm
Mehr lesenIn ihrer Konzertreihe mit dem herrlichen, John Cage entlehnten Titel «Happy New Ears» spielte das Ensemble Modern am 13. Dezember in der Oper Frankfurt unter der Leitung von Mark Hajjar fünf Werke, die für diesjährige Composer Seminar der Lucerne Festival Academy entstanden sind. Das Konzert ist Teil der Kooperation zwischen der Internationalen Ensemble Akademie (IEMA) des Ensemble Modern, welche sich auch im zweiten Jahr wunderbar bewährt hat. Während des Sommerfestivals erarbeitet das IEMA Ensemble in Luzern eine Woche mit den vier jungen Dirigent*innen des Conducting Fellowship und den acht jungen Komponist*innen des Composer Seminar eigens für den Anlass geschriebene Werke. Als Geburtshelfer fungierten Wolfgang Rihm und Dieter Ammann, die das Composer Seminar leiten, sowie der Dirigenten-Coach Jonathan Stockhammer. Bei den Luzerner Abschlusskonzerten des Composer Seminar sucht eine Delegation des Ensemble Modern fünf Werke für das Frankfurter Konzert aus. Die Wahl fiel auf die Kompositionen von Minzuo Lu, Hugo van Rechem, Raimonda Žiūkaitė, Zhenyan Li und Aregnaz Martirosyan.
Minzuo Lu aus Karlsruhe hat mit VUCA ein Stück über ihre existenzielle Erfahrungen der Corona-Pandemie geschrieben. Der Titel leitet sich von vier Zuständen hat: Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity – Zustände, die auch jetzt noch unser krisengeschütteltes Leben bestimmen. Der Franzose Hugo van Rechem beschäftigt für seine Komposition ein anderer Zustand. Im dem Buch The Exegesis of Philip K. Dick beschreibt der Science Fiction-Autor im Abschnitt 5:54 (was denn auch der Titel seines Stücks ist) die Erfahrung einer «spiritual epiphany», das van Rechmen klanggewaltig umsetzt mit sich bewegenden Musiker*innen im Raum. Raimonda Žiūkaitė aus Litauen erweitert das Ausdrucksspektrum der Musiker*innen durch sprachliche Ausdrucksgesten wie Whoa-Wah-Wow, aus denen sich die gesamte Komposition entwickelt. Zhenyan Li, die zweite Chinesin neben Minzuo Lu, arbeitet in London und beschäftigt sich in ihren Arbeiten immer wieder mit asiatischer Kultur; in ihrem Stück Hashigakari ist das japanische No-Theater Ausgangspunkt: «Hashigakari» bezeichnet auf der Bühne des No-Theater den Brückenbereich, welche die beiden anderen Bühnenorte, den Bereich der Geister-Welt und der «normalen» Welt, miteinander verbindet. Auch die aus Armenien stammende Aregnaz Martirosyan, die in Luzern lebt (sie konnte als einzige an diesem Konzertabend nicht in Frankfurt dabei sein), arbeitet mit dem Fundus der armenischen Musikkultur und entwickelte daraus einzigartige Klangwelten.
Alle fünf Werke zeigen wunderbar die Vielfalt heutigen Komponierens auf. Die Komponisten gaben während des Konzerts Einblicke in ihr Schaffen. Das Eigene, Persönliche zu fördern, Potentiale zu stärken, genau sein im Umgang mit dem Material und der schriftlichen Fixierung im Werk, das sind die Ziele des von Wolfgang Rihm und Dieter Ammann geleiteten Composer Seminar. Dass es zu an diesem Konzertabend in Frankfurt zu Zweitaufführungen kam, ist der Initiative und dem gleichzeitig grossartig aufspielenden Ensemble Modern zu verdanken und der Aventis Foundation, welche das Projekt ermöglicht.