Wie ist dein Zugang zur zeitgenössischen Musik?
Irgendwann in meinem Leben war oder ist alle Musik komplett neu für mich. Doch wenn es darum geht, mit Klängen zu arbeiten, die in unserer Zeit geschaffen werden, hört für mich die Aufregung nie auf, mich in etwas Neues zu verlieben. Für ähnelt der Prozess, ein neues Musikstück zu entdecken, dem erstmaligen Kennenlernen einer neuen Person. Ich lasse mich überwältigen, wie das Stück aussieht, wie es klingt, was es zu erzählen , was es zu verbergen scheint, wo seine kulturellen und ästhetischen Wurzeln liegen, was ich davon verstehe und – das ist das Wichtigste – was ich davon nicht verstehe: Alle diese Elemente formen einen faszinierenden Code und schaffen das emotionale Verlangen, mehr Zeit mit diesem unbekannten «Organismus» zu verbringen. Wenn es um die Aufführung geht, bringt jedes neue Werk seine einzigartigen Herausforderungen mit sich, die ich auch individuell als Performer erfahre. Diese Herausforderung, diesen persönlichen Kampf anzunehmen – das ist fast so, als würde man von einem Berggipfel springen und ganz woanders landen. Vielleicht an einem Ort, den ich vorher nie gesehen habe, der aber immer schon da war. Ein neues «Irgendwo» auf meiner Karte.
In einem Wort: Was bedeutet für dich «Neue Musik»?
Wachstum.
Was ist deine Verbindung zu Lucerne Festival?
Seit meinem siebzehnten Lebensjahr träumte ich davon, Teil der Lucerne Festival Academy zu sein. 2018 wurde ich schliesslich aufgenommen und 2019 als Alumni wieder eingeladen.
Was reizt dich an Lucerne Festival Forward?
Die einladende Haltung und die Offenheit gegenüber ganz verschiedenen musikalischen Realitäten. Dahinter steht die mutige Entscheidung, einen wirklich pluralistischen Ansatz in der Programmplanung zu wählen. Lucerne Festival Forward hat seine Wurzeln darin, zuzuhören und bewusst Risiken einzugehen; mit dieser Einstellung soll auch das Publikum angesprochen werden. Vielen Stimmen zuzuhören und verschiedene «Sounds» (oder Konzepte) willkommen zu heissen, das ist per Definition ein risikofreudiger Ansatz. Er öffnet die persönlichen und sozialen Grenzen künstlerischen Schaffens und stärkt das kreative Miteinander. Ich bin wirklich stolz darauf, Teil dieses Projekts zu sein, das Risiken nicht nur eingeht, sondern sie zu seiner Grundlage macht.
Wie empfindest du den Co-Curation-Prozess?
Es ist das erste Mal, dass ich etwas im Kollektiv kuratiere, und ich muss noch vieles lernen. Es ist ein heikler, fordernder Prozess, der der Kreativität viel Raum lässt. Wie ich es bisher erlebt habe, geht es fast immer darum, aus grossen, faszinierenden Abstraktionen nach und nach immer konkretere Ideen zu entwickeln. Was mich stark an die Bildhauerei erinnert: Wir alle suchen das einfachste, zwingendste im Innern des Marmorblocks, und jede*r leistet dazu einen Beitrag. Es ist wunderschön.
Was können die Zuschauer*innen bei den Webinaren am 23. und 30. Juli 2021 erleben?
Die Webinare werden für das Publikum quasi zum ersten Teil des Festivals. Wir möchten nicht bloss erklären, sondern zeigen, um was es beim Festival geht. Im ersten Webinar werden wir das Thema ansprechen, das sich wie ein roter Faden durch Lucerne Festival Forward zieht, und uns als Kurator*innen vorstellen. Im zweiten Webinar werden wir mehr auf die Künstler*innen und Programmpunkte des Festivals eingehen. Am wichtigsten ist aber, dass immer Raum für Interaktionen bleibt; für Fragen und Partizipation vonseiten des Publikums.